Blue und Nelson Mandela

Blue war ein freundlicher, kluger, eigenwilliger Ziegenbock, der in einem Pferdestall lebte. Er verbrachte seine Tage damit, frei im Stall und auf den Weiden herumzuspazieren oder im Weg zu stehen. Auf dem Hof lebte auch eine riesige Dogge namens Heidi. Sie war freundlich, neugierig und sich ihrer Größe und Kraft unbewusst. Heidi mochte Blue. Blue mochte Heidi nicht.

Der Pferdestall war ziemlich lang und die Stallgasse, also der Weg an dem links und rechts die Pferdeboxen aufgereiht sind, konnte noch einmal mit einem simplen Tor verschlossen werden. Meist stand das Tor offen. Da Pferde aus dem hinteren Stallbereich auf die Weiden gebracht wurden, war das Tor diesmal geschlossen.

Blue und ich waren im vorderen Bereich des Stalles. Ich mistete Pferdeboxen aus. Blue schaute zu und kommentierte. Mit einem Mal rumste es. Die Pferde schreckten auf. Heidi war mit einem riesigen Satz in den Stall gesprungen, über die untere Hälfte der Stalltür. Blue sieht Heidi und rast los. Die Stallgasse hinunter. Auf das verschlossene Tor zu. Heidi begeistert bellend hinterher. Ich bin zu weit weg und warte ab, was passiert. Währenddessen überlege ich, welche Optionen Blue hat.

Über das Tor kann er nicht springen. Dafür ist er zu klein. Er könnte sich vielleicht zwischen den Gitterstangen durchquetschen, aber nicht in der Geschwindigkeit mit der er auf das Tor zurennt. Unter dem Tor sind vielleicht 20 cm Platz. Nie und nimmer passt er da durch. Dafür ist er zu groß. Inzwischen ist Blue kurz vor dem Tor ohne die Geschwindigkeit zu drosseln. Heidi direkt hinter ihm. Was hat dieses Tier vor? Sieht er das Tor vielleicht nicht? … Er hat es gesehen. Und er hat etwas gemacht, woran ich weder gedacht habe, noch es für möglich gehalten hätte, wenn ich daran gedacht hätte.

Blue lässt sich im vollem Lauf auf den Bauch plumpsen. Vorderbeine nach vorn ausgestreckt. Hinterbeine nach hinten. Ich wußte nicht einmal, dass der Körperbau von Ziegen so eine Bewegung zulässt. Und so rutscht er unter dem Tor durch. Hals und Kopf lang zwischen den Vorderbeinen ausgestreckt. Den Kopf im perfekten Winkel, so dass die Hörner nicht hängen bleiben. Springt auf der anderen Seite aus dem Rutschen auf die Beine und verschwindet meckernd durch die Hintertür auf die Weiden.

Wir stehen alle staunend da. Inklusive Heidi, der entfallen zu sein scheint, dass sie das Tor einfach überspringen könnte. Vielleicht sind aber auch die Rufe ihrer Chefin inzwischen zu ihr durchgedrungen. Auf jeden Fall trottet sie zu uns zurück. Und wir Menschen fragen uns gegenseitig, ob die anderen auch gesehen haben, dass der Ziegenbock gerade auf dem Bauch unter dem Tor durchgeschlittert ist. Und wie unglaublich das ist. Und dass wir das für unmöglich gehalten haben.

Und was hat das jetzt alles mit Nelson Mandela zu tun? Blue und Mandela sind sich nie begegnet. Vielleicht hat Blue im Stallradio von Mandela gehört. Wer weiß. Aber Blue hat ein Beispiel geschaffen, für etwas, dass Nelson Mandela gesagt hat, nämlich:

„Es erscheint immer unmöglich, bis es vollbracht ist.“

Was für sich selbst betrachtet, auch schon wieder unmöglich scheinen würde. Was so ein Ziegenbock so alles kann. Was wir wohl alles können, wenn wir uns denn trauen würden? Wenn wir denn an uns glauben würden? Wenn wir mutiger wären?

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